Seit über 10 Jahren stolperte ich immer wieder über die wunderbaren Texte und Lieder von Helen Vita. Vor allem ihre „frechen Chansons“ hatten mich nachhaltig in ihren Bann gezogen. Irgendwann hatte ich dann beschlossen, daraus ein humorerotisches, musikalisches Programm zu entwerfen mit dem ich auf Kleinkunstbühnen auftreten wollte.

 

 

 

Erste Proben zeigten jedoch sehr schnell, dass die Texte von einem Mann gesungen keinen Sinn machten und auch nicht so recht wirken wollten. Die Lösung lag auf der Hand: ich musste irgendwie in eine weibliche Rolle schlüpfen.

 

 

 

Emotional fühlte ich mich schon seit einiger Zeit viel weiblicher als ich dachte. Dazu trug nicht zuletzt bei, dass ich meine Tochter vom ungefähr zweiten Lebensjahr an alleine erzogen habe. Ich nahm für sie sowohl die Rolle des Vaters als auch der Mutter ein. Alleine diese Rollenbesetzung und Auseinandersetzung mit den Sichtweisen einer Mutter, sei es beim Bastelvormittag im Kindergarten oder beim Muttertreff auf dem Spielplatz am Nachmittag, eröffneten mir emotional und gedanklich eine völlig neue Welt, ja mehr noch, ein bisher unbekanntes und spannendes neues Universum.

 

 

 

Ich wehrte mich nicht und gab mich dem Abenteuer hin und befinde mich heute noch stets auf dieser Entdeckungsreise in eine Region, über die ich mir vorher eigentlich noch nie richtig Gedanken gemacht hatte.

 

 

 

Gefühle, Gedanken, Entscheidungen, Verhaltensweisen … der weibliche Blickwinkel verdoppelt mein Reservoire an Möglichkeiten.

 

 

 

Doch für die Bühne musste ich natürlich einen Schritt weiter gehen: ich musste auch äußerlich femininer werden, um den Blickwechsel optisch zu unterstreichen.

 

 

 

Die ersten Versuche in herkömmlichen Bekleidungsgeschäften ein Kleid zu erwerben endeten im Desaster. Ich steckte mit weit nach oben gestreckten Armen in der Umkleidekabine in einem Kleid, welches sich weder nach oben noch nach unten hin bewegen und ausziehen lassen wollte, während die applizierten Pailletten in alle Richtungen vom Kleid spritzen. Meine mich begleitende Freundin fiel vor Lachen aus der Kabine und ich fühlte mich einfach nur fett, unförmig, hässlich und allein.

 

 

 

Doch letztlich machte es der Versandhandel bequem und einfach möglich und ich verwandelte das heimische Wohnzimmer zum Amateurlaufsteg zur Anprobe.

 

 

 

Es folgten Accessoires wie Schmuck, Lippenstift, Schminke … . Welch eine völlig unbekannte Welt! Ich war fasziniert und konnte wissensdurstig kaum genug davon bekommen. Und mir drängte sich die Frage auf, womit haben wir Jungs während der Adoleszenz unsere Zeit verplempert, als die Mädchen all diese wunderbar komplizierten Dinge gelernt haben.

 

 

 

Und dann sollte ich die Faust in eine Strumpfhose stecken …

 

 

 

Die Reise, welche den geschlechtlichen Perspektivwechsel anregen soll, ist nicht mit dem Programm „Blickwinkel – eine Hommage an Helen Vita“ erschöpft. Sicherlich ist dieses Programm die Initialzündung. Aber beim Ausarbeiten, Feilen und kreativem Arbeiten daran, sind so viele neue, andere, zusätzliche Ideen entstanden, dass weitere Programme von und mit Lizzy Reichel folgen werden und die Reise noch lange fortbestehen kann.

 

 

 

Lizzy Reichel ist übrigens eine Adaption des bürgerlichen Namens von Helen Vita: Elisabeth Reichel.

 

 

 

 

 

Nun befinde ich mich in der Phase kurz vor den ersten Auftritten. Ich gestalte gerade das Werbematerial, meinen Facebookauftritt, meine Homepage, meine Pressetexte … und kann es kaum erwarten, dass es los geht. Es fühlt sich so richtig und gut und vor allem richtig gut an.

 

 

 

Ich freue mich auf jeden Zuschauer, den ich ein wenig auf diese Reise mitnehmen kann.

 

 

 

Eure

 

 

 

Lizzy Reichel alias Carsten Hickstein, September 2017